Psychiatrie in Graubünden Gestern und Heute

Vortragsreihe  Offenes Fenster vom  07. Februar 2018

Referent: Dr. Christian Koch, Chefarzt Gerontopsychiatrie

Vieles hat sich in den letzten 70 Jahren innerhalb und ausserhalb der Psychiatrie geändert. Kaum zu glauben, was einst mit den „Irren“ gemacht wurde. Man zog ihnen Zwangsjacken an und legte sie in Ketten wie Schwerverbrecher. Kein Wunder stand in Cazis die „Irrenanstalt“ gleich neben dem Gefängnis Realta und stand viele Jahre unter ein und derselben Direktion !

Eine Zeitreise –  Geschichte 19.Jahrhundert
1825 Ein Gutachten spricht von 16 Irren in Graubünden
1840 Eröffnung Zwangsarbeiterhaus in Fürstenau
1874 In Graubünden werden 200 Geisteskranke gezählt
1877 Gründung Bündnerischer Hilfsverein
1892 Eröffnung Klinik Waldhaus

 

Ende 19. / Anfang 20. Jahrhundert
Behandlungsmethoden und Freizeit
Arbeitstherapie
Heil- und Beruhigungsmittel gegen gedrückte oder reizbare Stimmung und Langeweile
Bäder allgemein / Deckelbad; warmes Bad zur Beruhigung von Erregungszuständen und Schlafförderung
Freizeitgestaltung (Theater, Gesang, Christbaumfeier)

Anfang bis Mitte 20. Jahrhundert
Gruppentherapie
Schlaftherapie
Insulinkur (Sakel,1935)
Modernisierung der Beschäftigungstherapie
Verbesserung der Zusammenarbeit mit Behörden und Spezialärzten
Öffentlichkeitsarbeit
Cardiazol- Krampf-Therapie (Meduna,1937)
Der Ungar Ladislaus von Meduna (1896-1964) führte die Cardiazol-Krampf-Therapie ein, bei der durch die Injektion von Cardiazol ein künstlicher epileptischer Anfall ausgelöst wurde.
Elektrokrampfbehandlungen (Cerletti und Bini,1938),
Einführung GR 1943
Leukotomien (1946/1948 in Kooperation mit den Spitälern Thusis und Chur)
Sie wurde ursprünglich zur Schmerzausschaltung und bei extrem schweren Fällen psychischer Erkrankungen angewendet, etwa bei Psychosen und Depressionen mit starker Unruhe.

Mitte bis Ende 20. Jahrhundert
Elektroschockbehandlung unter Narkose und mit Curare
ab 1952 Apomorphin- und Antabus-Kur zur Alkoholentwöhnung
Vermehrter Einsatz von Psychotherapie
ab 1956 Einsatz von Turnstunden und Heilgymnastik
ab 1960 Entdeckung weiterer Neuroleptika
Leponex (Clozapin) 1976
Keine neurologischen Nebenwirkungen, aber toxische Wirkung auf weisse Blutzellen.
ab 1960:
Abriss von Mauern und Zäunen
Abteilungen werden offen geführt
Sicherheitsglas ersetzt Fenstergitter

Erneuerung sanitärer Einrichtungen (Lavabos mit warmem und kaltem Wasser)
Umwandlung von Schlafsälen in Dreier und Viererzimmer
Erste Drogenpatienten (Haschisch und LSD) ab 1969
Ambulante Weiterbetreuung nach Klinikaustritt
Antabus-Sprechstunde (2-jährige Nachbehandlung)
Weiterentwicklung der Sozialpsychiatrie ab Mitte der 70er Jahre – Aufhebung der Geschlechtertrennung
Gemeindenahe ambulante psychiatrische Behandlung
Eröffnung von Wohngruppen für psychisch Behinderte
Aufbau ambulanter Dienste Ende 70iger/ Anfang 80iger
Neue Medikamente erweitern das Behandlungsspektrum

Wohnheime werden gegründet
1989 Gründung VASK Graubünden
Ambulant vor stationär
Konsiliar- und Liaisondienst
1972 Einführung der Kunsttherapie
1974 Einführung der Ergotherapie
1975 Einführung der Bewegungstherapie
In Kombination mit Medikamenten: Reduktion von EKT und Insulinkuren (nur noch bei Einzelfällen)
(Die Elektrokrampftherapie richtet sich an Menschen mit schweren depressiven Störungen) und Insulinkuren (nur noch bei Einzelfällen)

21 Jahrhundert
Tageskliniken werden eröffnet
Entstigmatisierung
Spezialisierungen
Angehörigenarbeit
Psychoedukationsgruppen
Öffnung der Psychiatrie
Recovery
Psychoedukationsgruppen
Ausbau Konsiliar- und Liasiondienst
Therapeutische Angebote
Ergotherapie
Psychotherapien
Beschäftigungstherapien
Kunst-, Musik-, Sport-, Bewegungs- und Aktivierungstherapien
Integrierte psychiatrische Behandlung
Phytotherapie- und Komplementärmedizin

Entwicklung Personal- und Patientenzahlen
1892  22 Wärter und Wärterinnen / 14 Personen Dienst und Ökonomiepersonal
113 Geisteskranke und 8 Körperkranke
1896  Aufstockung auf 15 Wärter und 14 Wärterinnen
222 Kranke
1901 19 Wärter und 22 Wärterinnen
250 Kranke
1913  über 300 Kranke

Anfang bis Mitte 20. Jahrhundert
Entwicklung Personal- und Patientenzahlen
1939 Verbesserung der Anstellungsbedingungen
1943 3. AA-Stelle für Heil- und Pflegeanstalt Realta
1948 10 Stunden Tag auch für Pflegerinnen
1958 JB Waldhaus / 01.01. 388 Patienten / 31.12.: 395 Patienten, Personal 141 (91 Pflege, 50 übriges Personal)
1960 Einführung der 52 Stunden-Woche für dipl. Pflege – 2. Ober Arzt -Stelle für die Anstalt Waldhaus – 2. Ober Arzt-Stelle für die Anstalt Beverin
Schwerpunkte der beiden Kliniken
Klinik Waldhaus 107 Patienten
Akut- und Rehabilitationspsychiatrie
Psychotherapie mit Tinnitusklinik
Gerontopsychiatrie mit Memory-Klinik
Klinik Beverin 125 Patienten
Sucht – Forensik
Mutter-Kind-Station und Schmerz – Gerontopsychiatrie mit Demenz und Psychotherapie
Privatklinik Mentalva
1964 Psychiatrische Fürsorgerin an beiden Anstalten
1968 Erhöhung der Arztstellen von 5 auf 7 pro Klinik
1972 2. Sozialdienststelle in der Klinik Beverin
1976 186 Angestellte im Waldhaus 358-369 Patienten, 170 Angestellte in Beverin 328 Betten
1977-1984 Stellenbeschaffung für je 1 Psychologen und je 1 ambulanten Ober Arzt in beiden Kliniken
1988 Einführung der 42 Stunden-Woche
1992 Arztstellen pro Klinik 9 bzw. 10
2000 Betten Klinik Waldhaus 145, Klinik Beverin 117 Betten
2016 Mitarbeitende: 1020  davon 594 in Kliniken, 134 in Heimzentren,
204 in ARBES 
Als geschützte Werkstätte der Psychiatrischen Dienste Graubünden (PDGR), bietet erwachsenen Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung einen Arbeitsplatz. Ihr Ziel ist eine bestmögliche, individuelle und ressourcenorientierte berufliche Eingliederung ihrer Klienten in den Arbeitsprozess.
232 Klinikbetten
99 Tagesklinikplätze
32 Betreuungsplätze opioidgestützte Behandlung
(Opioide sind natürliche, aus dem Opium gewonnene oder (halb)synthetisch herstellte Arzneimittel mit schmerzlindernden, dämpfenden, beruhigenden und psychotropen Eigenschaften.
134 Wohnplätze Heimzentren
120 geschützte Arbeitsplätze

Dr. Koch hofft, dass mit all den positiven Veränderungen der letzten Jahre, die Barriere zwischen den psychiatrischen Kliniken und der Öffentlichkeit geöffnet wird.
Das hoffen wir alle auch, denn es ist genauso unmenschlich die psychisch kranken Leute zum Teil auch heute noch zu „ verachten“, wenn sie sich nicht unser Gesellschaftsordnung angepasst verhalten und dass auch ihre Angehörigen darüber reden dürfen /können.